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Lauterbach möchte die Praxen systematisch aushungern

FAZ: Die Gesundheitspolitik Karl Lauterbachs folgt einem alten Muster. Zu mehr Gesundheit führt sie nicht, schreibt der Chef des Virchowbunds in einem Gastbeitrag.

Von Dr. Dirk Heinrich

Erinnert sich noch jemand wie Karl Lauterbach in sein Amt als Bundesgesundheitsminister gekommen ist? Als Experte in der Corona-Pandemie hörte ganz Deutschland auf seinen Rat als Wissenschaftler von vermeintlich exzellentem Renommee. Dass der Sozialdemokrat eine mehr als zwanzigjährige gesundheitspolitische Vergangenheit hat, als Berater der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und als Spin-Doctor der SPD für die staatliche Einheitskasse „Bürgerversicherung“, daran will sich heute keiner mehr erinnern. Aber es lohnt sich, weil dieser rote Faden in der Politik von Lauterbach jetzt zum Muster wird.

Der Bundesgesundheitsminister hat sich Großes vorgenommen: eine „revolutionäre“ Krankenhausreform, 1000 Gesundheitskioske in Deutschland, je einen für 80.000 Einwohner, Primärversorgungszentren, die ambulante Erbringung vieler bislang noch stationär erbrachter Leistungen und die Stärkung des Einflusses von Kommunen in Entscheidungsgremien.

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte stehen hingegen nicht auf der Agenda des Ministers. In den Praxen merken dagegen seit dem Amtsantritt des Ministers alle, dass es viele Probleme gibt, aber nichts geschieht. Wer nicht vorkommt in der Politik, hat auch nicht Gutes zu erwarten. Krankenhäuser erhalten Milliarden zur Bewältigung von Pandemie, Inflation und Energiekosten. Den Praxen hingegen werden erstmals konkret Mittel entzogen: mit der Abschaffung der Neupatientenregelung, die die schnellere Behandlung neu Erkrankter erreicht hatte. Das ist aber kein Zufall, sondern folgt einem Plan.


Ihm geht es um die Verstaatlichung des Gesundheitswesens

Und hier kommen die Gesundheitskioske als Kronzeuge ins Spiel. Erfunden in Hamburg – unter anderen vom Autor dieses Artikels – sind diese Einrichtungen ausschließlich für die bessere Steuerung und Gesundheitsbildung in prekären Stadtteilen mit Mitbürgern mit Migrationshintergrund gedacht und auch nur hierfür wissenschaftlich evaluiert und empfohlen. Liest man jedoch das Kleingedruckte in den Gesetzesentwürfen, dann geht es bei den Lauterbachschen Kiosken um etwas anderes: Es geht um den Ersatz, die Substitution ärztlicher Tätigkeit durch sogenannte „Community Health Nurses“, früher auch Gemeindeschwester genannt. Nur hatten diese damals kein Bachelorstudium.

Denn warum soll es Kioske nicht nur dort, wo der Mangel an Hausärzten langsam offensichtlich wird, geben? Warum überall? Ganz einfach: Es ist die Gelegenheit, auf die Lauterbach seit 20 Jahren wartet. Entstandene Versorgungslücken sind das Feigenblatt, das ambulante Gesundheitswesen gleich komplett umzubauen, faktisch zu verstaatlichen.

Dazu passt es, dem Staat Mitspracherecht in der Zulassungsausschüssen zu geben und Kommunen als Träger und Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu ermächtigen. Jetzt müssen nur noch die lästigen ärztlichen Praxisinhaber peu à peu ausgehungert werden und dann gibt es in der Primärversorgung viele Hausärzte weniger und viele Community Health Nurses mehr.

Doch was geschieht mit den niedergelassenen Fachärzten? Diese sollen – so war es schon früher Lauterbachs Idee – zurück ans Krankenhaus, man erinnere sich nur an das von ihm oft wiederholtes Mantra der „doppelten Facharztschiene“. Die „revolutionäre“ Krankenhausreform soll es richten.

Eigentlich müsste dieser Reform eine Ambulantisierung vieler heute noch stationär erbrachter Leistungen mit Zugang für beide – Praxen und Krankenhäuser – vorausgehen. Gutachter und Verbände haben hierfür etwa 2500 Leistungen identifiziert. Das Bundesgesundheitsministerium wird wohl aber mit nur 30 Leistungen starten. Mit diesem Schutzzaun für das Krankenhaus, der absichtlich durch den Wegfall der Neupatientenregelung verschärften wirtschaftlichen Lage der Fachärztinnen und Fachärzte und dem Aussitzen der seit 30 Jahren überfälligen Reform der Gebührenordnung für Ärzte durch Lauterbach, werden die Praxen systematisch ausgehungert. Den Rest erledigt eine mit Zwang eingeführte, für Ärzte weitgehend nutzenfreie, teure Digitalisierung. Ein flächendeckendes Sterben von Facharztpraxen durch frühe Pensionierungen und abgeschreckten Nachwuchs wird die Folge sein.

Je dünner dann die Facharztpraxisdichte wird, umso leichter können nach und nach Krankenhäuser zur kompletten ambulanten fachärztlichen Versorgung ermächtigt werden. Ist das erstmal geschafft, richtet die schiefe Ebene des Wettbewerbs, der durch die duale Finanzierung der Krankenhäuser entsteht, den Rest. Dann ist die Welt des Karl Lauterbach wieder im Lot: Primärversorgung in kommunalen Primärversorgungszentren durch Gemeindeschwestern und den Restbestand an Hausärzten, fachärztliche Versorgung ambulant und stationär am Krankenhaus.

Faktisch wäre das Gesundheitswesen in wenigen Jahren dann zu 70 bis 80 Prozent in staatlicher Hand. Den Grundstein legt Lauterbach gerade jetzt und der Rest der Ampel merkt es nicht oder will es so. Welche Folgen hat das für Patienten und Patientinnen? Alles wird weniger werden. Weniger Ärzte, weniger Medizin, weniger Termine sind die absehbaren Folgen. Zu mehr Gesundheit jedenfalls führt das nicht. Dieser Umbau hat schon begonnen und monatelange Wartezeiten sind das neue Normal. Stellen Sie sich darauf ein!

Dirk Heinrich ist Bundesvorsitzender des Virchowbundes (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands) sowie Facharzt für HNO und Allgemeinmedizin.


Quelle: F.A.Z.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aerztestreik-lauterbach-moechte-praxen-systematischaushungern-19215314.htm