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„Forderung an neue Regierung: Unbürokratische Bagatellgrenze für Regresse als Sofortmaßnahme“ Hauptgeschäftsführer des SpiFa Dr. André Byrla im änd

Eine Bagatellgrenze bei Regressen hatte die Ampelkoalition in Aussicht gestellt – ohne große Kommentare verschwand das Vorhaben aber wieder in der Versenkung. Ärztevertreter fordern nun von der neuen Regierung schnelles Handel. Auch zeigen die Regress-Zahlen in der Statistik, dass das Problem nach wie vor bemerkenswerte Dimensionen hat.

Die Politik muss das Thema Bürokratieabbau nun rasch aufgreifen, fordert Byrla vom Spitzenverband der
Fachärzte.

Ursprünglich war die Begatellgrenze für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vorgesehen.
Den Passus hatte die Fachabteilung im Hause Lauterbach in den Gesetzesvorschlägen schon fertig ausformuliert. So sollte es für Regresse gegenüber Arztpraxen eine Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 300 Euro geben. Darunter hätten die Kassen keine Wirtschaftlichkeitsprüfungen beantragen können. Diese Grenze sollte pro Betriebsstättennummer, Quartal und Krankenkasse gelten.

Warum es die Regelung am Ende nicht gemeinsam mit Maßnahmen wie der Entbudgetierung der Hausärzte in das beschlossene Gesetz geschafft hat, bleibt fraglich. Aus dem Ampel-Parteien kommt in der Sache auf Nachfrage lediglich der Hinweis, dass aufgrund des vorzeitigen Regierungsbruchs keine Zeit gewesen sei, sich in allen Punkten zu einigen. Doch die fertig ausformulierte Regelung war seit langer Zeit bekannt – und Politiker aller Parteien hatten sich zumindest verbal hinter die Maßnahme gestellt. Gerüchte, dass Krankenkassen-Lobbyisten zum entscheidenden Zeitpunkt die Finger Spiel hatten, halten sich in Berlin hartnäckig.

Doch der Blick in den Rückspiegel hilft nun auch nicht mehr, meint der Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) – und adressiert eine klare Forderung an die neue Bundesregierung. Sie müsse sich zum Ziel nehmen, die Niedergelassenen endlich von fesselnder und zeitraubender Bürokratie zu entlasten, betont Hauptgeschäftsführer Dr. André Byrla: „Als Sofortmaßnahme sollte jetzt vom Bundestag unter anderem sehr schnell eine unbürokratische Bagatellgrenze für Regresse in der ambulanten Versorgung auf den Weg gebracht werden”, so seine aktuelle Forderung.

In Summe nach wie vor Millionen-Forderungen

Ein Blick in die Zahlen zeigt, wie stark eine solche Regelung zahlreiche Praxen wirklich entlasten könnte. Selbst die Bundesregierung ging in der Begründung zur weggefallenen Gesetzesregelung davon aus, dass „mit der Einführung einer Bagatellgrenze von 300 Euro je Betriebsstättennummer, Krankenkasse und Quartal in § 106b Absatz 2 SGB V rund 70 % der bislang durchgeführten Prüfverfahren“ entfallen könnten. Den Wert hatte zuvor die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ermittelt und gegenüber dem Bundesministerium kommuniziert. Er beruht laut Körperschaft auf Rückmeldungen von einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen. Und in der Tat: Auf Anfrage des änd bestätigen gleich mehrere Landes-KVen nach Rücksprache mit den zuständigen Prüfungseinrichtungen, dass schätzungsweise rund zwei Drittel der Anträge durch eine Bagatellgrenze entfallen könnten.

Zahlen aus den Kassenärztlichen Vereinigungen zeigen auch, wie stark das Thema die Niedergelassenen aktuell noch belastet – auch wenn Politik und Krankenkassen gebetsmühlenartig betonen, dass die „gefühlte Bedrohung“ viel höher als die tatsächliche Zahl der verhängten Regresse sei. Beispiel Baden-Württemberg: 6.876 Prüfanträge wurden dort im vergangenen Jahr gegen die Vertragsärztinnen und -ärzte eingeleitet. Zwar sank die Zahl damit um fast 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Höhe der Antragssumme insgesamt stieg aber drastisch von sieben auf über elf Millionen Euro.

In Bayern liegt die Zahl die Verfahren erwartungsgemäß noch höher – und die Prüfungsstelle im Freistaat gibt einen Einblick, was von der Masse der Anträge am Ende auch in konkreten Zahlungsanforderungen gipfelt: So seien erstinstanzlich 2023 über alle Prüfarten hinweg insgesamt 15.375 Verfahren abschließend geführt worden. „Davon führten 12.930 Verfahren zu einem Regress. Insgesamt wurden dabei Forderungen in Höhe von 3.458.890 EUR festgesetzt“, so die Leiterin der Prüfstelle, Kathrin Blaschek. Für 2024 lasse sich schon jetzt sagen, dass die Anzahl der erstinstanzlichen abgeschlossenen Verfahren in Summe auf 16.288 gestiegen sei. „Regresse wurden in 13.332 Verfahren in einer Gesamthöhe von 4.447.820 EUR festgesetzt“, so Blaschek.

Der Vorstand der KV Bayerns hält daher die Bagatellgrenze bei Regressen laut Stellungnahme für einen dringend erforderlichen Ansatz, um die Entbürokratisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Mindestens ebenso wichtig jedoch: „Auch für Abrechnungsprüfungen muss eine Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 300 Euro pro Krankenkasse, pro Quartal und Arzt geschaffen werden“, so der Vorstand, der auch anregt, eine „Antragsgebühr“ in Höhe von 100 Euro für diejenigen Anträge zu verhängen, die sich bei der Prüfung als unberechtigt herausstellen, „um irgendeine Art von Kostenbewusstsein bei denjenigen Krankenkassen zu wecken, die offenkundig ohne die nötige Sorgfalt Prüfanträge gemäß § 106d Abs. 3 oder 4 SGB V stellen.“

Auch in Berlin hofft die KBV nun darauf, dass sich die Entscheider der neuen Regierung nach Amtseinführung rasch dem Thema widmen. Den alten Gesetzesentwurf will sie jedoch ungern unverändert im nächsten Gesetzesvorhaben wiedersehen: Der KBV-Vorschlag der konkreten Ausgestaltung sei von der Politik damals nicht komplett übernommen worden. „So müsste – sollte eine neue Bundesregierung die Idee einer Bagatellgrenze erneut aufnehmen – aus Sicht der KBV statt der Bezugsgröße ‚je Betriebsstättennummer‘
dringend die Bezugsgröße ‚je Arzt‘ formuliert werden, um die prognostizierte Reduktion der Prüfverfahren zu erreichen“, so die Körperschaft.

Die Chancen dafür, dass die künftige Regierung das Thema erneut aufgreift, sind da: Mehrfach war aus der SPD vor der Wahl zu hören, dass es eine Bagatellgrenze brauche. Lauterbach hatte den Hausärzten bereits im Januar 2024 versprochen, auf diesem Wege eine „Kultur des Misstrauens“ abbauen zu wollen. Auch der Gesundheitssprecher der Union, Tino Sorge, betonte, dass der Bürokratieabbau endlich eine stärkere Priorität bekommen müsse. „Es gilt dadurch mehr Zeit für die Behandlung zu schaffen. Beides kann die Versorgung schneller und sicherer machen. Dazu gehört auch eine Bagatellgrenze bei den Wirtschaftlichkeits- und Plausibilitätsprüfungen“, so Sorge. Was die vollmundigen Ankündigungen nach der Wahl wert sind, werden die ersten Gesetzentwürfe zeigen.

Der änd wir berichten.

Quelle: änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG, 28.02.2025

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